Sonderschau: Le Corbusier in Erlenbach 2015

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GROSSE SONDERSCHAU – LE CORBUSIER IN ERLENBACH A. MAIN

„Am Ende war das Kreisen der Ideen eine Spirale. Man kommt nie mehr zu sich zurück.“
(Hilpert, Thilo: Le Corbusier 1887-1987. Atelier der Ideen, Hamburg 1987, S. 172)

Auf der Ausstellung „internationale malerei 1960/61“ in Wolframs-Eschenbach entwickelten Heiner Ruths und Leo Hefner die Idee, Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts im Rahmen eines internationalen Kunstzentrums e.V. Erlenbach a. M. zu fördern und für moderne Kunstwerke einen würdevoll musealen Tempelkomplex zu schaffen. Für den Bau eines „wachsenden Museums“ in Erlenbach am Main konnte der damalige Stararchitekt Charles-Édouard Jeanneret-Gris, genannt Le Corbusier, gewonnen werden.

Für ihn waren funktionale, zweckmäßige und ressourcen-orientierte Entwürfe von zentraler Bedeutung. Für seine neuartige Architektur zwischen Poesie  und  Funktion  konzipierte  er   Volumen  und  Texturen im Spiel des Lichts von innen nach außen, von der Innen- zur Außenarchitektur. Technische Errungenschaften wie das Mikroskop oder das Flugzeug hatten das Bild menschlicher Proportionen und die menschliche Stellung im Weltbild verändert und führten zu einem Wandel im Sehen und Denken zwischen Mikro- und Makrokosmos. Als Folge entstanden architektonische Prototypen, darunter das erwähnte wachsende Museum, das auf Entwürfe eines pyramidalen Modells von 1929 für das Mundaneum in Genf zurückgeht. Es konnten drei Museen des  Prototyps realisiert werden: 1951-56 das Ahmedabad Museum (Indien), 1957-59 das National Museum of Western Art in Tokyo (Japan) und 1964-68 das Gouvernement Museum and Art Gallery in Chandigarh (Indien). Le Corbusier lieferte hier jeweils Pläne, überließ die Ausführung jedoch lokalen Architekten mit der Begründung, dass sie beispielsweise die Bauvorschriften oder klimatischen Bedingungen der jeweiligen Region besser kennen.

Kurz vor seinem Ableben entwickelte er zwei weitere Museumspläne, darunter ab 1961 das wachsende Museum für das internationale Kunstzentrum e.V. Erlenbach a.M.

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Modellnachbildung 2015 / Volker Rammling Architekturmodellbau

 

Am 28.09.1961 wurde Karl G. Fischer im Namen der Gesellschaft für neue Kunst e.V. Frankfurt a.M. beauftragt, die Verhandlungen für ein Gelände aufzunehmen. Anfang Oktober 1961 hielten die 14 anwesenden Personen eine übereilte Gründungs-veranstaltung des internationalen Kunstzentrums e.V. Erlenbach a.M. ab. Für das Kunstzentrum waren Vorträge, Diskussionen und Kurse zu zeitgenössischen Themen der bildenden Kunst, Architektur, Musik und Literatur, wechselnde Ausstellungen und jährlich internationale Tagungen vorgesehen. Für das Museum der bildenden Künste des 20. Jahrhunderts sollte der Galerist Heiner Ruths aus Aschaffenburg, Sekretär des internationalen Kunstzentrums, Direktor werden.

Am 30.11.1961 wurde Herr Dr. Dr. h.c. Ernst Hellmut Vits, Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Glanz-stoff-Fabriken AG Wuppertal-Eberfeld, ohne dessen Zustimmung im Vereinsregister Obernburg am Main als Präsident des internationalen Kunstzentrums e.V. Erlenbach a.M. eingetragen. Der potentielle Geld-geber war empört und wies die Ehrenwürde in einem Brief an den Bürgermeister der Marktgemeinde Erlenbach a. Main zurück. Doch wurde versucht das Projekt trotz fehlender finanzieller Mittel fortzuführen. So hatte Dr. Ottomar Domnick 240 Werke als Stiftung zugesagt und international wurde für eine Realisierung des Baus gespendet. Am 15.02.1962 wurde Le Corbusier in Paris besucht und bekam den Auftrag für den Museumsbau.

Sieben Monate später kam es zu einem Gegenbesuch in Erlenbach a. Main. Danach wurde das wachsende Museum im Verbund einer Bandstadt als Variante eines flachen, quadratischen, spiralartigen und auf Stützen stehenden Prototyps mit Annexbauten für Konferenzen, Ateliers, Depot, Verwaltung, Wechselausstellungen, Künstlerwohnungen, ein Hotel samt Parkplätzen sowie eine „Zauberkiste“ für spontane Theateraufführungen oder Filmvorführungen konzipiert. Drei Entwurfspläne später und nach beginnenden Verhandlungsuneinigkeiten wollte Le Corbusier das Konzept komplett überarbeiten. Die Verzögerungen leiteten den Abbruch des Projektes ein.

Die Ausstellung soll zeigen, dass sich das Weltbild im Dreieck von Mensch, Technik und Natur stetig verändert und so unser Sehen und Denken prägt. Le Corbusier war beeinflusst von der Arts-and-Crafts-Bewegung und dem Art Nouveau, die um 1900 aufkamen. Er beobachtete die Natur in ihren Formen und Farben, ließ sich von seiner Umwelt inspirieren und schuf Prototypen, die individuell angepasst wurden. Wie um 1900 soll die Kunst auf der MAIN ART Messe ein Weg sein, um als Alternative zur digitalen Welt die Sinne neu zu animieren. Wenn Le Corbusier erleben könnte, welchen Einfluss die heutige Technik auf uns hat – was würde er wohl sehen und denken?

In der Ausstellung finden Sie Objekte und Zeitdokumente des Projektes eines wachsenden Museums für Erlenbach a.Main. Der Goldene Schnitt auf dem Boden der Ausstellungsfläche war für Le Corbusier bei der Entwicklung seiner Proportionslehre  des Modulors  grundlegend.  Selbige Berechnungen gehen auf Lehren aus der Antike zurück. Dieses vom Menschen abgeleitete Maßsystem strebte nach einem Idealbild der menschlichen  Schönheit, bei  dem  sich die Teile zueinander beziehen.

Im Eingangsbereich der Kunstmesse werden Ge-mälde aus dem Besitz der Stadt Erlenbach a.Main gezeigt, die in Le Corbusiers wachsendem Museum hätten ausgestellt werden sollen. Sie bilden eine Brücke zu den Kunstwerken, die im Rahmen der MAIN ART ausgestellt werden. Die Kunstmesse verdeutlicht zweierlei: die Bedeutung des Menschen als Individuum und des Zusammenkommens im Kollektiv, die Teile und das Ganze in ihrer Wechselwirkung.

 

Boesinger, W./ Girsberger, H.: Le Corbusier 1910-1965, Zürich 1965.
Cohen, Jean-Louis (Hg.): Le Corbusier’s secret laboratory. From painting to architecture, Katalog zur Ausstellung Moment – Le Corbusier’s secret laboratory, Moderna Museet, Stockholm, 19.01.-18.04.2013, Ostfildern 2013.
Hilpert, Thilo (Hg.): Town in mind. UrbanVision – 15 Projects, Berlin 2004.
Hilpert, Thilo: Le Corbusier 1887-1987. Atelier der Ideen, Hamburg 1987.
Michels, Karen: Der Sinn der Unordnung. Arbeitsformen im Atelier Le Corbusier, Braunschweig 1989.
Vidler, Anthony: The space of history: modern museums from architecture Patrick Geddes to Le Corbusier, in: M. Giebelhausen (Hg.): The architecture of the museum. Symbolic structures, urban contexts, Manchester 2003, pp. 160-182.
Architektur, Corbusier-Museum. Eckige Schnecke, in: Spiegel 12  (1962), S. 86-89.
Zeit des Manierismus, in: Zeit 53 (1961).

 

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